Als Teenagerin ging ich einmal durch den Garten eines Klosters, in dem ich an Exerzitien teilnahm. Es war schon später Abend und recht dunkel, und ich war ganz allein und in Gedanken versunken, als ich an einer steinernen Marienstatue vorbeikam. Der weiße Stein, aus dem sie gemeißelt war, hob sich in der Abenddunkelheit gut sichtbar hervor, und ich blieb einen Moment vor ihr stehen, um mir ihr Gesicht anzusehen. Es war eine Maria Immaculata Darstellung. Ihre Züge waren innerlich und...
Fragtest du mich, worunter ich leide, so schwiege ich von den Einsamkeiten, die mich befallen, selbst unter Menschen, deren Hände und Worte warm sind und weich wie der Duft der Magnolie. Auch von durchbangten Nächten, in denen ich manches Unheil erwartete das niemals eintrat, schwiege ich, wie von den Tagen, an denen ich blind für das Wunder blieb, das mich atmend umspinnt. Ich spräche nicht von den Wunden und Narben, von denen ich ahne dass sie mich zeichnen, doch nicht entstellen, und...
Als ich 16 Jahre alt war, sagte ein Jesuitenpater zu mir "Es gehört zu den schwersten Dingen im Leben, zu lernen dass man dem Anderen das Kreuz nicht abnehmen kann, das er trägt." Schrecklich eigentlich, dass das Bild von einem Mann, der sein Folter- und Sterbeinstrument auf dem Rücken trägt, halbtot geprügelt und restlos ausgeliefert, in unserem kulturellen Gedächtnis zur Blaupause eines Menschen geworden ist, der seine Leiden annimmt und bis zum Ende und dem "Danach" durchfühlt. Ich...
Hätte man mich vor 25 Jahren gefragt, was die Christenheit zu Pfingsten feiert, so hätte ich vermutlich mit ratlosen Worten die diffuse Allgegenwart des Geistes abgetastet oder vor lauter Verzweiflung auf den Katechismus zurückgegriffen. Heute weiss ich, dass das vor allem einen Grund hat: Dem Heiligen Geist, wie er mir von katholischer Seite vermittelt worden war, lag ein Geistbegriff zugrunde, der nahezu klinisch rein von jeder Körperlichkeit war. Er war eine Idee - irgendetwas zwischen...
Ich bin sprachlos angesichts des Krieges in der Ukraine. Meine Sprachlosigkeit erstreckt sich von Erklärungsversuchen über naheliegende Appelle bis hin in die Gebetssprache, die ohnehin immer eine ohnmächtige ist, auch schon ohne vernichtende Angriffe von Menschen auf andere Menschen. In diesen Tagen, so scheint mir, ist auch der tragende Grund unter unserer Sprache bloss ein wachsender Hügel Trümmerteile. Aber wie so oft, wenn die Sprache versiegt, sucht sich Sagbares andere Wege....
Heute, am 17.12., erscheint das neue Publik Forum, und es war mir eine Ehre und ein Fest, auch in dieser Advents-/Weihnachtsausgabe einen Text zu einem sehr ungewöhnlichen Marienbild beizusteuern. Die Madonna del parto von Piero della Francesca ist ein erstaunliches Bild, in das wir uns versenken können. Wie viele von Euch wissen, bin ich ein großer Fan der Praxis der Bildmeditation. Auf einem Bild ins Geheimnis reisen, das ist etwas, das wir viel öfter tun sollten. Fühlt Euch also...
Heute ist der schöne Tag, an dem mein neues Buch "In winterweißer Stille" (Vier Türme 2021) erschienen ist. Für Autor*innen gehört so ein Tag ja meist zu den Highlights des Jahres. Für mich auch, deswegen teile ich gern meine Freude. Während wir vermutlich alle noch die Farben und Düfte des ausklingenden Sommers geniessen, kündigt sich der Herbst schon an: die Spinnen weben ihre Netze, das Laub verfärbt sich, ein besonderes Aroma liegt in der Luft. Und auch die früher hereinbrechende...
Noch während du dich gottverlassen fühlst legt die Spinne, deren Netz deine Traurigkeit hören kann, einen neuen Faden an. Noch während du deine Einsamkeit bedauerst, hält das Lied des Zeisigs deinen Mut aufrecht, und schimmert der Tautropfen, in dem ein ganzes All lebendig ist, deinem Blick entgegen. Noch während du nach einem Wort suchst, das deinem Schmerz einen Namen gibt, rufen die Steine den Regen und einen sanften Wind herbei, damit der Petrichor dir warmen Trost in deine Sinne...
Ein Leben lang Der Mond liegt heute fröhlich auf den Dächern. Ich schaue hin und sehe mich nicht satt, und trinke Licht aus himmelblauen Bechern, wie eine die sich selbst vergessen hat. Nichts unter mir als daunenweiche Erde. Sie wirft mich in die Luft und fängt mich auf. Ein Leben lang bloß fallen. Stirb und werde, und störe nicht die Welt in ihrem Lauf.
Ich lege dieses Jahr und seine Schmerzen, und seine laut gewordne Müdigkeit in tiefe Erde, zu den edlen Erzen, in mütterliche Winterdunkelheit. Ich löse alle Fäden meines Bangens in dieser Welt sei jeder stets allein, vor mir die Spur des innigsten Verlangens, ein Mensch im All der Menschlichkeit zu sein. Ich träume, mich wie Wurzeln zu verzweigen, den Gräsern gleich zum Himmel aufzusehn, mich vor der Stille tiefer zu verneigen, in alle Dinge lächelnd heimzugehn....